Wolf [2]

[747] Wolf (Christian), der berühmte Philosoph, war der Sohn eines Bäckers in Breslau und 1679 geboren erhielt [747] in seiner Vaterstadt, seit 1699 in Jena die wissenschaftliche Weihe und entschied sich frühzeitig für die mathematischen und philosophischen Studien. Von der scholastischen Philosophie und der des Cartesius (s.d.) wendete er sich bald dem Systeme seines Gönners Leibnitz (s.d.) zu, das er zu vervollständigen und zu verdeutlichen strebte und von welchem er sich blos in einzelnen Punkten entfernte, für die Darstellung desselben aber von Cartesius die mathematische Methode beibehielt. Nachdem er 1701 sich in Leipzig das Recht erworben hatte, Vorlesungen zu halten, ward ihm 1707 auf Empfehlung Leibnitz's die erste Professur der Mathematik in Halle ertheilt und er genoß bald sowol als Schriftsteller im mathematischen und im philosophischen Fache, wie als Universitätslehrer einen solchen Ruf, daß ihm mehre vortheilhafte Anstellungen angetragen wurden. W. lehnte jedoch alle ab und ward deshalb von Friedrich Wilhelm I. durch Gehaltsvermehrung und den Hofrathstitel ausgezeichnet. Allein bald nachher ward von Neidern W.'s und den Anhängern des auch damals in Halle heimischen Pietismus und Mysticismus, den steten Widersachern besonnener Forschungen, die Philosophie W.'s als fatalistisch und gottesleugnerisch, daher staats- und kirchengefährlich, beim Ministerium in Berlin angeklagt. Da man zugleich den König durch das Vorgeben wider W. einnahm, die Philosophie desselben würde sogar des Königs lange (mit großem Aufwand und vielen Gewaltthätigkeiten zusammengebrachte) Gardisten zum Desertiren verleiten und dies wenigstens aus dem Gesichtspunkte der Vorherbestimmung entschuldigen, so ward W. plötzlich 1723 durch bloßen Cabinetsbefehl abgesetzt und des Landes verwiesen, ja mit dem Strange bedroht, wenn er nicht in zwei Mal 24 St. das preuß. Gebiet verlassen hätte. Seine Widersacher feierten in Halle W.'s Entfernung in den Kirchen, wo unter Andern auch der Stifter des Waisenhauses, Francke, Gott auf den Knieen dafür dankte, W. aber ward alsbald vom Landgrafen von Hessen in Marburg als erster Professor der Philosophie angestellt und zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften in London, Paris, Stockholm und zum Vicepräsidenten der von Peter dem Großen in Petersburg errichteten ernannt. Nun ward freilich auch in Berlin eine Commission aus vier Geistlichen und dem Minister von Cocceji zur Prüfung der gegen den schon Verurtheilten und Gestraften erhobenen Beschuldigungen niedergesetzt und nachdem sie W. völlig freigesprochen hatte, dieser nach Halle zurückberufen. Allein W. kam nicht, nach Friedrich II. Thronbesteigung aber folgte er 1740 der von den ehrenvollsten Bedingungen begleiteten Einladung desselben und kehrte als Professor des Natur- und Völkerrechts, Geheimrath und Vicekanzler der Universität nach Halle zurück, an welches Ereigniß dort 1840 mit einer Säcularfeier erinnert wurde. Im J. 1743 wurde W. Kanzler, 1745 vom Kurfürsten von Baiern, damaligen Reichsvicar, in den Reichsfreiherrnstand erhoben und starb 1754, wo seine Philosophie durch ganz Deutschland und auch außerhalb desselben verbreitet war. W. hat eine außerordentliche Menge lat. und deutsch verfaßter mathematischer und philosophischer Schriften hinterlassen und sich mit letztern durch Ausbildung der deutschen Sprache für den Ausdruck philosophischer Begriffe, sowie durch ihren Einfluß dem Pietismus und Mysticismus damaliger Zeit gegenüber die wesentlichsten Verdienste erworben; seine Philosophie ward mit durch die Kant's (s.d.) verdrängt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 747-748.
Lizenz:
Faksimiles:
747 | 748
Kategorien: